Urs Hintermann: «Ver-rückte Zeit»
Urs Hintermann, OK-Mitglied der Photo Münsingen, erlebt die Corona-Pandemie wie viele von uns: Zuerst mit Unglauben, dann mit gewisser Neugier, wie der Ausnahmezustand unseren Alltag verändert. Für einen engagierten Fotografen liegt es nahe, da zur Kamera zu greifen. Gedanken und Bilder der ersten Lockdown-Wochen.
Nach Ausbruch der Corona-Pandemie ging es mir wie allen: Zuerst Schock und Unglaube, was man da erlebt. Dann ist mir plötzlich bewusst geworden, dass wir wahrscheinlich Zeitzeugen eines Ereignisses werden, das für eine oder zwei Generationen einmalig sein wird.
Zuerst ist mir dies an einer Nebensächlichkeit bewusst geworden: Zum ersten Mal seit Jahrzehnten kann man bei uns in Münsingen einen ganzen Tag lang einen blauen Himmel sehen ohne irgendwelche Kondensstreifen am Himmel. Ich habe dann einen 13-stündigen Zeitraffer des Himmels über Bern gemacht. Vermutlich werden wir das bald nie mehr beobachten können. Ein Zeitdokument!
Am Tag darauf ist auf dem Platz in unserer Überbauung (Giessenpark) unvermittelt die Zweierband «Bearbeat» vorgefahren und hat ein kurzes Konzert gegeben – selbstverständlich unter Einhaltung des 2‑Meter-Abstandes! Das Konzert war eine Aufmunterung für alle, die Zuhause bleiben müssen und natürlich auch eine Einnahmequelle für die Musiker, die wegen der Pandemie aktuell ja keine Konzerte geben dürfen. Eine Idee, die uns alle aufgestellt hat.
Ich habe mir dann die Frage gestellt, was es sonst noch Einmaliges in dieser ver-rückten Zeit gibt. Geschlossene Geschäfte, natürlich. In den Strassen von Münsingen, Bern, Thun und Interlaken habe ich gemerkt, dass dies eine wahre fotografische Fundgrube ist. Da gibt es von trockenen Hinweisen wie «Zu» oder «Bis bald» bis zu Weltverschwörungstheorien alles. Darunter auch jede Menge Komisches, Geschäftstüchtiges, Fatalistisches, Aufgestelltes und Poetisches.
Mir sind bei meinen Spaziergängen natürlich auch andere Spuren aufgefallen. Zum Beispiel wie die Leute fast schon routinemässig Abstand zueinander halten. Masken, etwas, das wir bisher nur von asiatischen Touristen kannten, sind plötzlich allgegenwärtig. Und dann sind da natürlich noch die unübersehbaren Spuren in Form von unzähligen Pfeilen, Abstandslinien etc., die mehr oder weniger befolgt werden.
Es gäbe noch vieles mehr. Ich werde für mich ein Corona-Heftli erstellen, das diese spezielle Zeit festhält. Hoffentlich schon bald werden wir das dann zuhause durchblättern und sagen: «Weisst Du noch, damals, in dieser verrückten Zeit…».
Weitere Arbeiten von Urs Hintermann gibts auf seiner Website https://urshintermann-photography.ch
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