In­ter­view mit Tho­mas Kern: «Ich kom­me ein­fach zu dir als Mensch.»

Für die Se­rie «Je te re­gar­de et tu dis» hat Tho­mas Kern 61 Per­so­nen aus al­len Ge­gen­den des Kan­tons Frei­burg fo­to­gra­fiert. Im In­ter­view spricht er über die Ent­ste­hung der Se­rie, sei­ne Ar­beits­wei­se und die Aus­wahl der Porträtierten.

Tho­mas Kern, Sie sind im Aar­gau zu Hau­se, ha­ben für die 12. Aus­ga­be der «Fo­to­gra­fi­schen Er­mitt­lung: The­ma Frei­burg» aber wäh­rend ei­nem gan­zen Jahr Frei­bur­ge­rin­nen und Frei­bur­ger por­trai­tiert. Wie kommt das?

Da muss ich ein biss­chen aus­ho­len. Die En­quête Pho­to­gra­phi­que Fri­bour­geoi­se ist ein Wett­be­werb, den ich schon lan­ge ken­ne. Je­doch war mir lan­ge nicht klar, dass er auch für aus­ser­kan­to­na­le Fo­to­gra­fin­nen und Fo­to­gra­fen of­fen ist und dass ich mich da be­wer­ben kann. Nach mei­ner Aus­stel­lung über Hai­ti 2017 hat­te ich kein grös­se­res Pro­jekt mehr. So fand ich es in­ter­es­sant, mich hier zu bewerben.

Also ha­ben Sie ein The­ma gesucht.

Ja. Das war gar nicht so ein­fach, denn ich bin ja nicht aus Frei­burg. Ich habe kei­ne gros­sen Be­zü­ge. Für mich war schnell klar, dass ich Por­traits ma­chen möch­te – weil ich das ein­fach ger­ne ma­che. Ich woll­te dem Gan­zen je­doch nicht ein The­ma über­stül­pen. Ich woll­te zum Bei­spiel kei­ne be­stimm­te Volks­grup­pe oder eine be­stimm­te Art von Men­schen fo­to­gra­fie­ren. Das woll­te ich of­fen las­sen. Bei der Be­wer­bung war es die gros­se Kunst, das Pro­jekt auf drei Sei­ten nach­voll­zieh­bar zu be­schrei­ben ohne aber der Jury zu sa­gen, wel­che Men­schen im Kan­ton Frei­burg ich letzt­lich fo­to­gra­fie­ren wer­de. Ich woll­te es zu die­sem Zeit­punkt auch sel­ber noch gar nicht wis­sen, ich woll­te es ganz ein­fach dem Zu­fall überlassen.

Wie ha­ben Sie dann die Leu­te für Ihre Por­traits ausgewählt?

Im Zuge mei­ner Re­cher­che habe ich ein Buch von Jean-Fran­çois Haas ge­le­sen, ei­nem Frei­bur­ger Schrift­stel­ler. In die­sen No­vel­len hat Haas in sehr schö­nen Ge­schich­ten un­spek­ta­ku­lär das Le­ben ir­gend­wel­cher Leu­te be­schrie­ben. Ich hat­te so­fort das Ge­fühl, dass das Frei­bur­ger sind, ob­wohl es nir­gends de­kla­riert ist. Das war dann wie ein Leit­fa­den für mich. Also habe ich bei ihm an­ge­fan­gen. Dann hat­te ich noch ein paar wei­te­re Leu­te, bei de­nen ich an­knüp­fen konn­te. Etwa ein Ta­bak­bau­er, über den ich ein­mal eine Re­por­ta­ge ge­macht hat­te. Die­se Leu­te habe ich ge­be­ten, mich an je­mand nächs­tes wei­ter zu ge­ben. Etwa 80 Pro­zent der Kon­tak­te sind so über Re­fe­ren­zen entstanden.

An an­de­rer Stel­le ha­ben Sie die Kon­zen­tra­ti­on zwi­schen Ih­nen und den Por­trä­tier­ten er­wähnt. Was mei­nen Sie damit?

Beim Fo­to­gra­fie­ren soll­te ein Mo­ment ent­ste­hen, in dem zwi­schen mir und der fo­to­gra­fier­ten Per­son nichts mehr ist. Kein Image, kei­ne Mas­ke. Ich woll­te mög­lichst nah an die Per­so­nen her­an­kom­men. Eine ge­mein­sa­me Kon­zen­tra­ti­on schaf­fen. Mir war wich­tig, dass der Blick der Leu­te, un­ver­stellt ist. Weil das den Be­trach­tern er­laubt, in die Bil­der hin­ein­zu­schau­en. So­bald ich ein Por­trait ma­che, bei dem der Ge­sichts­aus­druck das Re­sul­tat ei­ner In­ter­ak­ti­on zwi­schen mir und die­ser Per­son ist, dann be­sit­ze ich als Fo­to­graf die­sen Mo­ment. Ich woll­te je­doch, dass die Leu­te, die die­se Bil­der an­schau­en, in die Bil­der hin­ein­schau­en kön­nen. Und dass die Leu­te, die ich fo­to­gra­fiert habe, eben ge­nau so die Be­trach­te­rin­nen an­schau­en, wie sie mich an­ge­schaut haben.

Wie ge­lingt es, dass sich die­se Kon­zen­tra­ti­on einstellt?

Das ist sehr in­di­vi­du­ell, es gibt kein Re­zept. Mir war wich­tig, dass ich mit den Leu­ten vor­her über das Pro­jekt ge­spro­chen habe: Ich kom­me zu dir nach Hau­se und es gibt kei­nen Grund. Aus­ser, dass je­mand dei­nen Na­men ge­nannt hat. Wir ken­nen uns nicht und ich möch­te nicht, dass du et­was re­prä­sen­tierst – auch wenn du im Fuss­ball­ver­ein bist, kom­me ich dich nicht als Fuss­bal­ler fo­to­gra­fie­ren. Ich kom­me ein­fach zu dir als Mensch. Al­les an­de­re möch­te ich auf dem Bild weg­las­sen. Das ha­ben die Leu­te verstanden.

Wel­che Rol­le spielt da die Technik?

Ich habe die Bil­der ana­log ge­macht, das war für mich aus ver­schie­de­nen Grün­den klar. Ich bin ei­ner­seits da­mit auf­ge­wach­sen. Es ist eine Tech­nik, die mir kei­ne Angst macht. An­de­rer­seits zwingt es mich als Fo­to­gra­fen ge­ra­de bei Por­traits zu mehr Sorg­falt. Es ist ein lang­sa­me­rer Pro­zess. Nach zwölf Bil­dern muss ich den Film wech­seln. Der Rhyth­mus ist ein an­de­rer, als wenn ich 1500 Bil­der be­lich­te. Wich­tig ist auch: ich muss nicht se­hen, was ich ma­che und ich will vor al­lem auch nicht, dass der oder die Por­trä­tier­te sieht, was ich mache.

Heut­zu­ta­ge wer­den wir alle per­ma­nent fo­to­gra­fiert. So­viel, dass das Fo­to­gra­fie­ren gar nicht mehr als ei­gent­li­che Hand­lung wahr­ge­nom­men wird. Wenn du aber so lang­sam fo­to­gra­fierst, dann wird es plötz­lich zum Akt. Das führt die Leu­te hin an den Mo­ment, an dem ich sage, «jetzt, so ist es gut, das Licht stimmt, jetzt denk an nichts».

Wie ha­ben Sie den Ort des Por­traits und die Po­si­ti­on der Por­trai­tier­ten gewählt?

Mir war nicht so wich­tig, wel­cher Hin­ter­grund auf dem Bild er­scheint. Den­noch war mein Ziel im­mer, ein in­ter­es­san­tes Bild zu ma­chen. Da ich mit na­tür­li­chem Licht ar­bei­te­te, war die Aus­wahl, was den Ort an­geht, meis­tens mi­ni­mal. Ich brauch­te ein biss­chen Platz und das Licht muss­te vor­han­den sein. Das hat sich also er­ge­ben. Für die Kör­per­hal­tung gebe ich ganz leich­te An­wei­sun­gen, be­ob­ach­te die Kör­per­spra­che, ob sich die Per­son wohl fühlt. Am Schluss sind es sehr we­nig In­struk­tio­nen. «Schau in die Ka­me­ra, schau di­rekt, mach bit­te den Mund zu». Ich woll­te nicht, dass die Leu­te la­chen, denn es ist eine star­ke Ges­te, durch die sie so­fort eine ge­wis­se Di­stanz haben.

Wie fest konn­ten die Por­trä­tier­ten mitreden?

Ei­gent­lich habe ich sie gar nicht ge­fragt. Ob­wohl ich das Ge­fühl habe, dass es et­was sehr kol­la­bo­ra­ti­ves ist, was wir ma­chen. Es war von An­fang an klar, dass ich das Foto mache.

Zur Aus­stel­lung von Tho­mas Kern…

Zum Vor­trag von Tho­mas Kern…

Ti­tel­bild: © Luca Zanetti

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