«Im Dü­din­ger Moos konn­te ich fast schö­ne­re Bil­der ma­chen als im Rio Negro»

Seit vier Jahr­zehn­ten fo­to­gra­fiert Mi­chel Rog­go welt­weit im Be­reich des Süss­was­sers, meist un­ter Was­ser. Als 2020 das Co­ro­na­vi­rus sei­ne in­ter­na­tio­na­len Pro­jek­te stopp­te, be­gann er, in der Aare und ih­ren Ne­ben­ge­wäs­sern zu fo­to­gra­fie­ren. Die Aus­stel­lung zeigt über­wie­gend die­se neu­en Ar­bei­ten aus dem Kan­ton Bern, nicht we­ni­ge aus der Aa­re­land­schaft bei Münsingen.

Mi­chel Rog­go, wie sind Sie vor rund 40 Jah­ren zur Un­ter­was­ser­fo­to­gra­fie gekommen?

Ich war schon als klei­ner Jun­ge oft am Was­ser. Im Al­ter von 30 Jah­ren be­gann ich un­ge­fähr zeit­gleich mit Fo­to­gra­fie­ren und mit Flie­gen­fi­schen. Bei Letz­te­rem ist es wich­tig, gut zu be­ob­ach­ten. Da­bei merk­te ich, wie schön die Un­ter­was­ser­welt ist. Da lag der Schritt zur Un­ter­was­ser­fo­to­gra­fie nahe. Bald un­ter­nahm ich eine ers­te Rei­se nach Alas­ka und be­gann dort mit Lach­sen fo­to­gra­fisch zu arbeiten.

Und Sie sind da­bei ge­blie­ben: Was macht für Sie den be­son­de­ren Reiz der Un­ter­was­ser­fo­to­gra­fie aus?

Die Schwie­rig­keit. Ich lie­be Her­aus­for­de­run­gen, das ist mein Na­tu­rell. Aus­ge­hend von ei­ner Bild­idee ei­nen Weg fin­den, sie um­zu­set­zen. Wie brin­ge ich den Fo­to­ap­pa­rat an eine be­stimm­te Stel­le: Mit ei­ner Stan­ge? Schnorch­le oder tau­che ich? Zu­dem fas­zi­niert mich die­se Black­box: Wir ha­ben zwar ein Bild vom fer­nen Ko­ral­len­riff, nicht aber vom klei­nen Bach vor un­se­rer Haus­tür. Als ich we­gen der Co­ro­na-Pan­de­mie eine Zeit­lang an die Schweiz ge­fes­selt war, fuhr ich mal ins Dü­din­ger Moos zum Fo­to­gra­fie­ren. Und konn­te dort fast schö­ne­re Bil­der ma­chen als im Rio Ne­gro, wo ich ei­gent­lich in der Zeit ge­ar­bei­tet hät­te. Wer die­se Fo­tos sah, konn­te kaum glau­ben, dass sie in Dü­din­gen ent­stan­den sind.

Dann war also die hie­si­ge Un­ter­was­ser­welt für je­man­den wie Sie, der die Ge­wäs­ser der Welt ge­se­hen hat, nicht zu we­nig spektakulär?

Kei­nes­wegs. Mitt­ler­wei­le bin ich sehr gern in der Schweiz un­ter­wegs. Die Un­ter­was­ser­land­schaft hier ist wun­der­schön. Wenn das Licht durch die Bäu­me ins Was­ser fällt und zwi­schen den Al­gen hin­durch scheint, kann das ma­gisch sein. Hier kann ich zu­dem in­ten­si­ver ar­bei­ten: Im Som­mer 2022 fo­to­gra­fier­te ich zum Bei­spiel fünf Wo­chen qua­si am sel­ben Ort in der Aare. Das heisst: Ich gehe hin und fo­to­gra­fie­re, dann brau­che ich viel­leicht zwei Tage für die Se­lek­ti­on, kor­ri­gie­re ge­wis­se Din­ge und fah­re dann wie­der hin. Im Aus­land kann ich das nicht, da bin ich viel mehr un­ter Druck.

Was braucht es, da­mit Sie mit ei­nem Bild zu­frie­den sind?

Da kom­men vie­le Fak­to­ren zu­sam­men. Es geht um Kom­po­si­ti­on, Licht­füh­rung, die Ba­lan­ce von Far­ben und Ge­gen­stän­den. Wenn ich an ei­nem Ort im Was­ser bin, su­che ich nach ei­ner Kom­po­si­ti­on, war­te dann viel­leicht auf Ver­än­de­run­gen von Wind oder Wel­len, oder dass ein Fisch in sie hin­ein schwimmt. Letz­ten Som­mer lag ich ein­mal drei Stun­den in ei­nem Ne­ben­arm der Aare. Ich ging kom­plett auf in die­ser Welt und ir­gend­wann schwam­men die Fi­sche um mich her­um. Die­se Stim­mung will ich ein­fan­gen. Im bes­ten Fall fühlt es sich für die Be­trach­te­rin­nen und Be­trach­ter des Bilds an, als wä­ren sie an mei­ner Stel­le im Wasser.

Wie sind die Bil­der ent­stan­den, die Sie an der Pho­to Mün­sin­gen ausstellen?

Teils am Ufer oder im Was­ser ste­hend, teils bin ich ge­taucht oder ge­schnor­chelt. Wenn ich im Was­ser ste­he, hal­te ich die an ei­nem Stab be­fes­tig­te Ka­me­ra ins Was­ser. Auf ei­nem Dis­play über Was­ser sehe ich, was ich fo­to­gra­fie­re. Ich be­nut­ze nur noch Voll­for­mat-Ka­me­ras, mit un­ter­schied­li­chen Vor­sät­zen. Ei­ner da­von macht Ma­kro­auf­nah­men, aber mit Weit­win­kel-Ef­fekt. Da­mit kann ich sehr nah ran­ge­hen. Seit 20 Jah­ren ver­wen­de ich kei­nen Blitz mehr, muss also mit na­tür­li­chem Licht ar­bei­ten. Zu­dem fo­to­gra­fie­re ich mit tie­fen ISO-Wer­ten von 200 oder noch lie­ber 100. Ich be­nut­ze spe­zi­el­le Un­ter­was­ser­ge­häu­se und ad­ap­tie­re die­se so, dass ich die Ka­me­ra fern­steu­ern kann. Seit je­her ver­brin­ge ich viel und ger­ne Zeit mit Bas­teln, etwa um was­ser­dich­te Lö­sun­gen zu fin­den. Mit der Ent­wick­lung ei­ner funk­ti­ons­fä­hi­gen Fern­steue­rung war ich etwa ein Jahr lang beschäftigt.

In letz­ter Zeit wa­ren Sie viel für den Re­na­tu­rie­rungs­fonds des Kan­tons Bern un­ter­wegs. Was be­deu­tet Ih­nen die­ser Auftrag?

Lei­der ha­ben wir Men­schen vie­les zer­stört. Ins­ge­samt ist der Zu­stand un­se­rer Ge­wäs­ser ka­ta­stro­phal. In der Aare bei Mün­sin­gen konn­te ich in den 1980ern Fo­tos mit Hun­der­ten von Äschen ma­chen, dies­mal habe ich kei­ne ein­zi­ge mehr ge­se­hen. Doch es gibt Orte, die weit­ge­hend ver­schont ge­blie­ben oder eben nun durch ge­ziel­te Re­na­tu­rie­rungs­mass­nah­men wie­der auf­ge­wer­tet wor­den sind. Die Prints mei­ner Bil­der kann der Kan­ton über­neh­men und sie bei­spiels­wei­se in Schu­len aus­stel­len. Es freut mich, wenn ich mit mei­ner Ar­beit zur Sen­si­bi­li­sie­rung bei­tra­gen kann. Ge­ra­de die jün­ge­ren Ge­ne­ra­tio­nen sol­len aber auch die Hoff­nung be­hal­ten und se­hen, dass wir Feh­ler kor­ri­gie­ren können.

Wie se­hen Ihre Plä­ne für die nä­he­re Zu­kunft aus?

Im Mo­ment ar­bei­te ich an ei­nem Sys­tem, wie ich eine Un­ter­was­ser­droh­ne mit ei­ner Voll­for­mat-Ka­me­ra aus­rüs­ten kann. Denn die Bild­qua­li­tät bei den Droh­nen auf dem Markt ist lei­der noch zu we­nig gut. Ich möch­te zum Bei­spiel Bil­der ma­chen kön­nen von dem Ort, wo alle Bar­ben aus Sen­se, Sa­a­ne und Aare zum Über­win­tern zu­sam­men­kom­men. Tau­chen ist dort im Win­ter schwie­rig, aber mit ei­ner Droh­ne in 20 Me­tern Tie­fe könn­ten ver­mut­lich un­glaub­li­che neue Bil­der ent­ste­hen – und ein wei­te­rer Teil der Black­box sicht­bar ge­macht werden.

In­ter­view: Raf­fa­el von Niederhäusern

Mi­chel Rog­go an der Pho­to Mün­sin­gen 2023:

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